Zur Eröffnung der Ausstellung von Henrik Pillwitz in der Galerie Nomis Hamburg, 2005


„Im Geviert der Leinwand entdecke ich einen wesentlichen Teil meiner Welt und dieser läßt sich nicht daraus verschieben." Diesen Satz schrieb Henrik Pillwitz 2001 in einem Katalog. Es ist sein Bekenntnis zur Passion der Malerei, für den Betrachter sichtbar und manchmal sogar spürbar in den Bildern des Künstlers. Henrik Pillwitz malt, als ob er das Material, welches im Urknall zerbarst und sich dann in neuen Formen zur gegenwärtigen Welt zusammenballte, wiederentdecken wollte.

Die Leidenschaft für die Kunst mag ihm in die Wiege gelegt worden sein, war doch sein Großvater bereits Maler gewesen. Doch erst mit 30 Jahren entschloß sich Henrik Pillwitz, den bis dahin in anderen Bahnen erfolgreich verlaufenen Lebensweg zu verlassen, um seiner Berufung zu folgen und das Wagnis einzugehen, Künstler zu sein. Die gewandelten politischen Verhältnisse nach 1990 gaben ihm endlich auch die Freiheit zu solch einem Entschluss.

Zunächst ging der 1962 Geborene nach Halle an die Burg Giebichenstein, Hochschule für Kunst und Design. Zwei Jahre später, 1995, wechselte er an die traditionsreiche Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, um in der Fachklasse von Professor Sighard Gille Malerei und Grafik zu studieren. Nach erfolgreichem Abschluss des Studiums wurde er Meisterschüler bei Professor Gille.

Zahlreiche eigene Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen belegen inzwischen ebenso seinen Erfolg, wie gleichermaßen die ihm zuerkannten Stipendien und die Ankäufe seiner Werke durch wichtige öffentliche sowie private Sammlungen.

Landschaften und Naturfragmente sind die Herzstücke seines bisherigen Oeuvres. Neben Gemälden, deren Maße in den letzten Jahren große Dimensionen ausloteten, stehen Papierarbeiten und Temperamalereien auf Leinwand, die sich im Format beschränken und von dem für Henrik Pillwitz typischen gestischen Malduktus beherrscht werden. Der Maler baut mit dem Pinsel die Farben Schicht über Schicht auf Leinwänden oder Papieren. So wachsen Landschaften gleichsam von innen her, überlegend und zugleich intuitiv, bilden sich wie ein Organismus, werden angereichert und überblendet.

Die vitalen Gebilde organischer Formen, die an Sedimente erinnernden Schichtungen, die oftmals extremen Ausschnitte bis hin zu mikroskopischen Einsichten, zeugen vom Begehren des Malers, denn: „Die Reisen in Landschaften verwandeln sich zu Reisen in die Welt der Strukturen, in das Innere oder `was die Welt zusammenhält´.“ so Pillwitz. Die Imagination von Landschaft, der Blick tief unter die Oberfläche, wird von dem Leipziger bewusst vollzogen, es geht um die Hervorrufung und die Beschreibung von Erkenntnis und von Sehnsucht. Dabei treten scheinbar geologische Formen ebenso auf wie Zellstrukturen oder Vorstellungen, die den Blick zum Himmel weiten und vermeintliche Wolkenfelder andeuten.

So verharrt das Bild der Natur in der Distanz, zeigt sich nicht als ihr Abbild. Während noch vor zehn Jahren Landschaftsausschnitte in seinem Oeuvre umfänglicher waren und Assoziationen zu Küstenstreifen oder Gebirgszügen deutlicher zugelassen wurden, sind die Bilder heute autonomer. Strukturen, parallele Farbsetzungen und Farbadern ziehen sich über die Leinwände. Zu dem expressiven Gestus ist ein flächigeres Gestalten getreten. Bildzonen werden zusammengezogen und beruhigt, um dann wieder aufgebrochen zu werden. Durchweg ist zu beobachten, daß der Künstler von einer gröberen malerischen Haltung zu einer leichteren gefunden hat.

Eine Besonderheit im Schaffen von Henrik Pillwitz bilden seine Fotografien. Sie sind geprägt durch einen malerischen Zugriff. Mit der Lochkamera, also einem fotografischen Verfahren simpelster technischen Vorgaben, setzt er bewusst auf Unschärfe und auf ein Verwirrspiel um die scheinbare Monumentalität der aufgenommenen Dinge. Die Landschaftsausschnitte, so Küstenabschnitte in der Bretagne oder in Südafrika, erlangen dadurch eine Räumlichkeit, die etwas Traumhaftes hat. Die Fotografien erscheinen dynamisch und poetisch zugleich, letztendlich im sanften Schwarz-Weiß-Kontrast sogar nostalgisch.

Serielles Herangehen und wiederkehrende Themenkreise sind typisch für Henrik Pillwitz. Das „sammeln“ steht hier nicht nur für ein Zusammentragen von Objekten der privaten Begierde. Wobei der Leipziger auch dies schon seit frühester Jugend tut und heute umfängliche Sammlungen von Insekten und Mollusken besitzt. In seiner Kunst geht es ihm darum, eine Verdichtung zu erreichen, Zusammenhalt und Zusammengehörigkeit zu entdecken, sowohl in Form- und Farbzusammenhängen, wie auch inhaltlich. Diese Verdichtung führt ihn zu Bildern, die reine Malerei und Erfindung, zugleich auch Erinnerungen an etwas Wahrgenommenes sind.

Der Mensch, von ihm geschaffene Dinge, Stadtlandschaften oder Technisches etwa, fehlen im Werk von Henrik Pillwitz völlig. Doch auch ohne deren Auftreten erhebt sich die Frage nach der Ortsbestimmung des Individuums. Denn fernab von falscher Naturschwärmerei, steht ein Bild von Natur vor den Augen des Betrachters, welches ihn seinen Platz in diesem Gebilde suchen lässt.

Christine Dorothea Hölzig
Kunsthistorikerin
 
2019 © Henrik Pillwitz