„Malerei hat in meinen Augen etwas Alchimistisches, nicht nur wegen des Terpentingeruchs“. Als Teil der Naturphilosophie  ist die Alchemie mit Struktur und Verwandlung von Materie befasst. Die Materie von Henrik Pillwitz ist die natürliche Umgebung, sind Landschaften und Naturfragmente. Dabei ist er kein Abbildner oder Verwandler des Naturschönen. Er ist zuerst Beobachter und dann Schöpfer aus dem Potenzial des Naturgegebenen. Auf den Leinwänden sind kaum konkrete Szenerien auszumachen, es sind Sehnsuchtsorte und Vorstellungen, inspiriert vom Anschaun wie von der Fiktion, anverwandelt und malerisch bewältigt. Aber zuerst zu sehen ist: Farbe! Da muss man anfangen. Ein im besten Wortsinn gebautes Territorium aus Pigment.

Die aus Farbe geformten autonomen Gegenden sind Schicht für Schicht gewachsen, gebärden sich als Überwucherung, Erosion und Sediment. Das Zurückliegende, Vorletzte ist immer noch da und Basis für das Nächste – in der Natur wie auch auf den Leinwänden. Pillwitz könnte an einem Bild ewig malen, es übermalen und seinen erdachten Natur-Bildern immer neue Formen an- und auftragen. Das Ideal wäre eine einzige Leinwand, so Pillwitz, auf der sich alle Bilder übereinander einfinden, Schicht für Schicht, wie Jahresringe. Ein hohes Relief aus Ölfarbe entstünde, ein Farbgelände zwischen Wildnis, Seelenlandschaft und Utopia mit Hochebenen und Abgründen.

Die Praxis spricht dann doch für die Bildfolge. Energisch und schwungvoll erscheinen wesentliche Passagen der Werke. Pure Expressivität ist das nicht, die Gesten sind genau kalkuliert, folgen seinem Plan von Ordnung, Struktur und Harmonie. Manches sortiert sich zu konkreter Geografie, Flora oder Perspektive, anderes bleibt indifferent im potentiellen Zustand des Chaos, das sich als Lesepause in der Bildbetrachtung einstellt oder sich ausbilden und befähigen lässt zu konkreter Funktion als Bildelement.

Die Grenze zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit ist in Pillwitz’ Werken beweglich und verschiebt sich – je nach Geduld und Wille des Betrachters. Man kann sich sinnlich vertiefen oder engagiert einmischen. Der Wechsel von Abstand und Nähe zum Bild – als Geste der Distanz oder als köstlich indiskrete Verführung – ist ebenso sinnstiftend wie Blicklauf und Lichtbedingungen es sind. Die intensive Farbigkeit von Eisblau bis Goldglanz legt die Temperatur fest und die leisen grafischen Intermezzi können verknüpfen. Das Lesen der Bildwelten von Henrik Pillwitz ist ein Vergnügen, ein Reiz, ein Kick bis zum Exzess. Man ist gern allein damit und will es sein, der Freiheit wegen. Es gibt keine Botschaften.

Im Idealfall kommt der Blick nach der Wanderung entlang Gestade und Pass, Terrain und Block, Gestade und Lehmberg am Ende bei Depot an; einem Sammler- oder Setzkasten, dessen Segmente der Maler verschwenderisch prall befüllt hat mit seiner Materie: Ölfarbe. Hier beginnt und endet zugleich die Alchemie des Malers Pillwitz, mit dem Stoff, den er so ausgezeichnet beherrscht und aus dem seine Weltsegmente aufbrechen.

Dr. Tina Simon

Publizistin

2022

TANN – Kosmos Pillwitz

Dieser Maler ist ein Sammler und Forscher, ein Mensch mit größter Affinität zur Natur und zur Geschichte. Ein sorgfältiger Beobachter, der Patina, Lebens- und Gebrauchsspuren schätzt und in seinen Werken einsetzt.


Exemplarisch für diese Arbeitsweise steht eine Serie von 32 kleinformatigen Aquarellen, die Pillwitz mit „Hindsen“ betitelt hat. Die weit verbreitete Angewohnheit, Arbeiten, zu denen einem nichts weiter einfällt mit „o.T.“ zu verrätseln, hat der Künstler abgelegt. Grundsätzlich sucht Pillwitz nach originellen, sinnstiftenden Bezeichnungen für seine Werke – wenn man so will, eine weitere Bedeutungsschicht, der man als Betrachter nachgehen kann – aber nicht muss. „Hindsen“ steht für einen konkreten Ort: ein See in Schweden, wo Pillwitz in einem alten Haus ohne Strom und fliessendes Wasser gern Zeit verbringt. In der Natur, fern der Zivilisation.
Die Aquarelle sind beeindruckende Farbspiele, mit teilweise selbst hergestellten Farben, vielgestaltig, erstaunlich tief – bis hin zum Bildträger. Pillwitz malt auf gebrauchtem Papier, freut sich über ausgerissene Kanten und Fehlstellen. Manche der Arbeiten sind fast „privat“ oder besser „familiär“: Aquarelle auf Papier mit handschriftlichen Notizen des verehrten Großvaters. Die Rolle des Großvaters Otto Krüger für den Künstler Henrik Pillwitz kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Pillwitz erinnert sich an die Aufenthalte bei den Großeltern, an die Ausflüge in den Wald und an den Duft von Ölfarbe in der Wohnung der Großeltern. Der Großvater war Maler und auch der Vater zollt dem kreativen Kind Respekt, indem alle Zeichnungen datiert und aufgehoben werden.


In der Ausstellung „TANN“ bricht Pillwitz mit einer Regel. Erstmals malt er Figuren und Gesichter. „Erinnerungsarbeiten“ nennt er die kleinformatigen Bilder. Menschen, die ihm viel bedeuten. Ein mutiger Schritt und eine Herzensangelegenheit. Einzelstücke bleiben auch drei kleine, hochintensive und spannende Keramikarbeiten. Entstanden in einer wichtigen Lebensphase, zeigen sie eine Kraft und Größe, die fast nach „mehr“ rufen lassen.


Den Kosmos zu fassen kriegen, indem man ihn neu schafft nach eingehender Untersuchung und Beobachtung. Mit hohem Respekt vor der Unerreichbarkeit der natürlichen Farben- und Formvielfalt. Ein zentrales Motiv der Arbeit von Henrik Pillwitz. Frühzeitig wurde sein Interesse an der Natur von den Großeltern geweckt, frühzeitig engagierte er sich leidenschaftlich als Entomologe in der entsprechenden Gruppe des Kulturbundes. Seine Insektensammlung hat er mit 18 Jahren verkauft. Geblieben ist die Freude an der Präsentation von Objekten in Schaukästen. Die arbeiten „Plan“ und „Kaleidos“ zeugen von einer ausgeprägten Lust an der Farbe, Ausschnitte einer selbstgeschaffenen Welt, ein künstlerisch geordnetes Chaos, präsentiert wie ein Fundstück aus dieser oder einer anderen Welt.


Der Fundus des Künstlers ist immens: Geschichte und Familiengeschichte, Natur und die Bilder und Fotos aus mehreren Jahrzehnten. Für „TANN“ greift Pillwitz auf eine Fotografie aus dem Jahr 1998 zurück. Während eines Arbeitsaufenthaltes in Südafrika entstand das Foto von Pflanzen im Wasser. Mehrfach bearbeitet, steigert Pillwitz die Tiefe des Motivs und zieht den Betrachter in die Schichten des Bildes. Die Südafrika-Fotografie ist unausgesprochen auch eine Verbeugung vor seinem Lehrer, dem Leipziger Maler Sighard Gille, mit dem er freundschaftlich verbunden ist. Gille hatte den Südafrika-Aufenthalt möglich gemacht und hat sicherlich auch einen großen Anteil daran, dass Pillwitz Fotografie als künstlerisches Mittel nutzt.


Bei aller Ernsthaftigkeit sollte man den Humor des Künstlers nicht unterschätzen: das Buch zur Ausstellung „TANN“…eingebunden mit feinstem Modelleisenbahnrasen, erschienen in der „Edition Rauschenbach“, was die Großmutter Lisbeth Rosa Krüger, geborene Rauschenbach, durchaus erfreuen wird. Eines dieser „unmöglichen“ Kunstwerke, weil sie kaum präsentiert werden können…und auseinandernehmen sollte man sie auch nicht. Ein sehr privates Vergnügen für den Besitzer.


Selten hat Henrik Pillwitz in einer Ausstellung so viele seiner Seiten gezeigt. Es ist, wenn man sich darauf einlässt, ein Kosmos: der „Kosmos Pillwitz“. Der Kosmos eines Künstlers, der von sich sagt: „Ich mache nur noch das, was mir gefällt“. Das nennt man wohl Erfüllung.


Thomas Bille
Freier Journalist und Moderator (MDR KULTUR)

2019